Freitag, 4. Februar 2011

Die Freiheit hat ein neues Gesicht



DAS NEUE GESICHT DER FREIHEIT

Freiheit oder die Sehnsucht nach Freiheit. Die Hände und Arme in einem surrealistischen Größenverhältnis zu den Blüten erleben und ersehnen diese Freiheit; sie wiederholen das V, das zwei noch geschlossene Blüten formen, das V, das Victory bedeutet, wenn die Freiheit über die Unfreiheit gesiegt hat.

Die "Revolution" in Tunesien, Ägypten und weiteren vorwiegend muslimischen Ländern wird noch nicht so ganz verstanden. "Wie geht es weiter, wagt jemand eine Prognose?" fragte Maybritt Illner in ihre erlauchte Runde hinein, mit Scholl-Latour u. a., Fachleute, die sich selbst als kompetent klassifizierten. Die Antworten waren vorsichtig bis verneinend. Niemand wollte sich festlegen. Gutes Ende, schlechtes Ende? Wissen wir nicht, hieß es im wesentlichen. Zu oft hatten Prognosen falsch gelegen.

Ganz beiläufig wurde vor ein paar Wochen über die Jugend im Gaza-Streifen berichtet. Sie tun sich schwer mit der Hamas. Sie wollen leben, lieben das Internet, wollen teilnehmen an der Welt, ihrer jugendlichen Welt, der Welt der Blogs mit Improvisationen und Musik aus allen Ecken der Kontinente. Sie alle haben aber auch schon Bekanntschaft gemacht mit den vielen Porno-Seiten, mit lustvollem Spaß, der so gar nicht zu den Geboten der dunklen und unerotischen Mullhas passen will. Sie wollen nicht gezwungen werden, irgendwann einmal als Selbstmord-Attentäter zu enden, während sich ein großer anderer Teil der Jugend um den Globus vergnügt und frei lebt. Daher: die "Revolution" ist auch eine sexuelle Revolution innerhalb des Islam. Eines scheint nicht zu passen. Da ist von Hochzeit und Treue die Rede, von Strafen bis zur Steinigung bei Verstößen, aber die Mittel fehlen, die Hände und Taschen sind leer. Die jungen Männer haben so gut wie keine Perspektive und wollen doch in das paradiesische Versprechen der Ehe hineinwachsen. Aber schon im Ansatz verkümmern solche Wünsche. Bis etwa 35 verbleiben die jungen Leute gewöhnlich bei Mama zuhause. Die Selbständigkeit ist ihnen verwehrt. Sie sind arbeitslos, ohne Ausbildung, und wenn sie eine haben, sei es auch eine akademische, dann finden sie keine Arbeit, oder nur Arbeit als Verkäufer hinter einem Gemüse.Karren. Auch diese Arbeit wird ihnen weggenommen, wenn sie die Wucher-Abgaben nicht leisten, die sie gar nicht aufbringen können. 

Das neue Gesicht der Freiheit ist eine frei erlebbare Sexualität, die das Internet offenbart, das krasse Gegenteil eines düsteren Religionsführers Chamenei, der in Ägypten absahnen will. Die erlauchte Runde um Frau Illner hatte nicht verstanden, dass die Revolutionen, die wir haben und die noch kommen, Trieb-gesteuert sind. Keine Macht der Welt kann sie aufhalten. Ich schrieb bereits in der Schreibwerkstatt:

Werden in Ägypten, im Irak, Iran, in Afghanistan saudiarabischer Fundamentalismus der Wahhabiten, der radikale Teil der Moslem-Bruderschaft, assimiliert, oder obsiegen die Menschen-verachtenden Methoden der Sicherheits-Kräfte des überfälligen Mubarak? (Einfügung am 4/Februar/2011: Mubarak verstärkte den Sicherheits-Apparat von Anbeginn seiner Regentschaft. Die Furcht der Ägypter vor diesem Apparat erlebte ich durch Schilderungen in Alexandria). Angesichts dieser Aussichten mag ich kaum glauben, dass Ägypten eine relativ gemäßigte demokratische Zukunft haben wird, wie zum Beispiel die Türkei. (Einfügung am 4/Februar/2011: Zwei Tage nach dieser meiner Befürchtung gingen die bewaffneten Schläger-Trupps Mubaraks auf die Straße und richten nun ein kalkuliertes Chaos an (1)

Ein junger schwedischer Tourist ist einem Bericht zufolge tagelang von der ägyptischen Polizei inhaftiert und gefoltert worden. Der 22-jährige Aaed N. war nach eigenen Angaben am Dienstag vergangener Woche festgenommen worden. Er habe Fotos von einer Moschee im Kairoer Vorort El Abasia gemacht, als ihn Polizisten in Zivil mitnahmen.
"Ich war gerade dabei, eine alte Moschee zu fotografieren, als Polizisten auf Motorrädern kamen", sagte er der schwedischen Zeitung "Helsingborgs Dagblad" per Telefon. Sie nahmen ihm die Kamera ab und brachten ihn ins Gefängnis. "Sie wollten mich töten", zitiert die Zeitung den Mann.
Seinen Schilderungen zufolge wurde er auf der Wache von mehreren Polizisten geschlagen. Einer von ihnen habe ihm gedroht, er werde den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen, wenn er versuchen sollte, die schwedische Botschaft anzurufen. "Sie setzten mir ein Messer an den Hals. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so viel Angst."
Ähnliches habe ich in Liberia erlebt. Ich war drei Monate dort, als der Makro-Verbrecher Charles Taylor noch sein Schreckens-Regime anführte, und fotografierte Teile der Innenstadt, zum Beispiel verrammelte Läden, notdürftig geschützt vor den gnadenlosen Schergen Taylors. Plötzlich waren zwei Sicherheitskräfte in Zivil hinter mir. Ich wollte sie abschütteln, ging schneller. Sie folgten dicht hinter mir, zwangen mich dann in eine Polizei-Wache. Dort wurde ich verhört. Immer mehr Leute kamen ins Zimmer. Ich sah die blanke sadistische Lust in ihren Augen: dieser Mann, der da sitzt, wird zwei bis drei Stunden in unserem Foltergefängnis sein.

Ich wandte mich an den Polizeibeamten, sprach nur mit ihm, weil ich wusste, dass zwischen Sicherheits-Kräften und Polizei noch immer ein Unterschied bestand und zeigte keine Furscht, im Gegenteil. Dann durfte ich einen Freund im Parlament anrufen. Er holte mich da raus und gab einigen Leuten Geld.

In Ägypten erlebte ich eine andere Geschichte. Sie zeigte die Homosexualität als Frustrations-Ventil im Land. Krank wegen eines Tees mit Nilwasser lag ich am Fuße des Tempels von Kena, dessen Museums-Leiter schwul war. "Ein fauler Hund" sagte mir ein deutscher Archäologe in einem einfach-primitiven Memnon-Hotel nahe der Memnon-Kolosse. Der relativ junge Museums-Leiter nahm mich an nächsten Tag mit nach Kena. Da lag ich nach einer dunklen Nacht in einem Hotel-Zimmer ohne Fenster nun auf einer Steinbank unterhalb des Tempels. Besichtigen konnte ich ihn nicht. Mir war schlecht wie nie in meinem Leben. Da kam einer der Tempelaufseher und hantierte an mir. Wie sein Chef waren naturgemäß auch alle Bediensteten schwul. Schwach wehrte ich ihn ab. Das genügte. Dann kam schon der nächste. Aber dann passierte etwas Wunderbares. Eine Ärzte-Gruppe, alles Ägypter, entdeckte mich, versorgte mich, und am Ende fuhr ich mit ihnen in einem Bus Richtung Alexandria. Sie sangen den ganzen Weg Studentenlieder. Sie waren das liebenswerte Ägypten. Sehr viele Menschen im Land erinnerten mich an die liebenswürdig-sanften Menschen der altägyptischen Malereien in den zahlreichen Mastabas, den Grab-Höhlen unter der Erde, zu denen schmale Gänge herabführen.

Die beiden Erlebnisse, in Liberia und in Kena/Ägypten, lassen die Geschichte des schwedischen Touristen in einem mir bekannten Licht erscheinen. Die sadistische Homosexualität der Sicherheits-Kräfte klingt für mich absolut glaubhaft, auch die Todes-Drohung, denn je mehr der Sadismus in die Praxis umgesetzt wird, desto eher droht am Ende, dass das Opfer beseitigt wird, um nicht berichten zu können.

Ägypten ist vollgestopft mit Menschen, die bereits alle Hemmungen verloren haben (Einfügung am 4/Februar/2011: wie wahr, die Ereignisse zwei Tage später bestätigen meine Aussage) und sich dem nächstbesten Diktator, Islam-fundamentalistisch oder eher weltlich, andienen werden. Die Situation in Ägypten ist alles andere als harmlos. Europa darf nicht warten und passiv zuschauen, ob die Menschen das drängende Problem einer geordneten Führung selbst in die Hand nehmen.

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Heute können Privates und Öffentliches nicht mehr voneinander getrennt werden, weil soziale Netzwerke mit allen privaten Facetten zum Sturz der Despoten-Regierung in Tunesien geführt haben und nun Ägypten explodieren lassen. Die Gegenwehr des 82-jährigen starrsinnigen Muhammad Husni Mubarak erzeugt eine Explosion, die wahrscheinlich nur durch den 68-jährigen Friedens-Nobelpreisträger Mohammed el-Baradei gedämpft werden kann. Inzwischen hört man von Kunstraub und Schändung des Ägyptischen National-Museums und wird an Bagdad nach der Eroberung durch amerikanische Truppen erinnert. Sie konnten den Raub an wertvollstem Kulturgut, an Weltkulturerbe-Substanz nicht verhindern, weil Bush jun. ein ungehobelter, leicht oder krass kulturloser Texaner war, dem das egal war. 
Ägypten macht sich auf den Weg, zu einem Irak zu verkommen. Die Amerikaner sollten ihre Fehler nun nicht wiederholen. Es ist zu hoffen, dass vor allem Frau Michelle Obama eine ausgleichende Wirkung haben wird, so dass Ägypten einigermaßen heil bleibt. Kopten wurden dort kürzlich ermordet. Es ist zu befürchten, dass den Islamisten auch die Ägyptische Kultur ein Dorn im Auge ist, und dass es zu einer kulturellen Katastrophe kommen wird, so wie einst, als die große Welt-Bibliothek von Alexandria von muslimischen Horden zerstört wurde.
Die heutige Konflikt-Lage weltweit wirkt wie eine Projektion aus der Zeit der Ermordung Muḥammad Anwar as-Sādāts am 6. Oktober 1981 durch vier Islamisten der Gruppe Al-Jihad (Heiliger Krieg). Die Al-Jihad, eine Abspaltung der Jama'at islamiyya, geführt von Abdessalam Faraj (Kairo) und Karam Zuhdi (Mittelägypten) und ihrem Mufti Scheich 'Umar 'Abd al Rahman, einem blinden Professor der Al-Azhar-Universität, betrachtete Sadat als unrechtmäßigen Herrscher, weil er nicht ausschließlich auf Grundlage der Scharia regierte. Seine Ermordung war aus Sicht der Gruppe das notwendige und angemessene Mittel zur Errichtung der von ihr angestrebten Form eines islamischen Staates. Im Rahmen konfessioneller Unruhen im Gebiet von Al Zawiya al Hamra ermordete 1981 die mittelägyptische Gruppe der Al Jihad sechs koptische Christen, die reiche Goldschmiede waren, und erbeutete nach Aussage ihres Führers Karam Zuhdi fünf Kilo Gold und 3000 ägyptische Pfund, mit deren Hilfe Waffen für die Organisation erworben wurden (Wikipedia). 
Dieser historische Einblick gibt darüber Auskunft, dass sich die Ziele der Jihadisten weltweit nur regional verlagert und ausgebreitet haben. Ägypten als Ursprung steht nun wieder am Scheidewege. Einen Sadat wird es nicht mehr geben und erst recht nicht eine weltweit hoch geachtete Persönlichkeit wie Jehan as-Sadat, die ihn mit 16 Jahren heiratete, mit ihm zusammen eine glückliche Ehe führte ("Er war meine Kraft, ich sein Licht"), mehrere Kinder gebar und an seiner Seite und nach seiner Ermordung zu einer der großartigsten Frauen aufstieg, die es je gegeben hat, weit bedeutungsvoller als Sadat selbst, obwohl dieser zusammen mit Begin 1978 den Friedensnobelpreis erhielt.
Das Paar Obama, offenbar ebenfalls eine glückliche Einheit, ist dazu aufgerufen, die Schuldenkrise der USA beiseite zu schieben und eine heilende Wirkung für Ägypten zu entfalten. 

(1)

Beispiel für den Zeitunterschied Berlin-Bangkok:

Im Beitrag der Schreibwerkstatt sind oben im ersten Absatz Einfügungen und ein Link. Sie sind auf den 4.Febr.2011 datiert = Bangkok-Zeit. Der Vermerk über diese Einfügungen erscheint auch im Kalender GMT+1 = Berlin, und zwar dort am 3/Februar/2011 um 21:00 bis 22:30. Um 3:30 bis 5:00 am 4/Februar/2011 Berlin-Zeit schrieb ich eine Ergänzung

Unter dem Bild schrieb ich den Begriff "Erstickungs-Tod". Das war also nach Berliner Zeit früh am 4/Februar/2011 tief in der Nacht. Am 4/Februar/2011 erschien eine Abwandlung des Gebauer-Berichtes vom Vortag, diesmal mit der Überschrift: Straßenkrieg erstickt (!) das Leben in Kairo. Das Titelbild vom Vortag blieb.

"ERSTICKEN" war einfach der beste Begriff. Möglicherweise wurde er aus meinem Blog schnell herauskopiert, und der Artikel in Spiegel-Online bekam ein neues, prägnanteres Gesicht, frisch für den nächsten Tag.

Das Beispiel zeigt die Schnelligkeit des Internet, nicht nur in Twitter und Facebook, die ich aus Zeitmangel sehr oft vernachlässige, weil ich sie für nicht so wichtig halte (von 1000 "Freunden" half niemand auf einen Hilferuf um Leben und Tod).

Wer in Thailand schreibt wie ich, sollte wegen der Zeitverschiebung nicht übers Ohr gehauen werden. Darum habe ich die beiden Zeitkalender heute recht deutlich gemacht und bei beiden die übersichtlichere Wochen-Ansicht gewählt (vorher war Monats-Ansicht das erste Erscheinungsbild).



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